Artikel in der Badischen Zeitung von Montag, 02. Mai 2016
Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der Badischen Zeitung
Ethnologin Nadine Mhadbi mit ihren Schützlingen beim Küchendienst. Foto: Michael Haberer
Heimisch fühlen und zur Ruhe kommen
Nadine Mhadbi, Ethnologin mit deutsch-tunesischen Wurzeln, betreut jugendliche Flüchtlinge in einer Wohngruppe in Bahlingen.
BAHLINGEN. Der Sozialverein Insopro aus Stegen engagiert sich im Kreis in der Betreuung von jugendlichen Flüchtlingen, die ohne Vormund und oft ohne bekannte Vorgeschichte in Deutschland angekommen sind. Bis die Jungs auf rechtlich eigenen Füßen stehen können, werden sie in den Wohngruppen in Bahlingen, Teningen, Mundingen und Emmendingen fit gemacht für den Alltag. In absehbarer Zeit soll die Flüchtlingsbetreuung von Insopro, die mehr als 30 Jugendliche im Kreis betreut, ihren Hauptquartier in Endingen bekommen, wo der Insopro-Geschäftsführer Markus Jackl seinen Sitz hat.
„Die Jugendlichen sollen sich heimisch fühlen und zur Ruhe kommen“, sagt Nadine Mhadbi. Die Ethnologin mit deutsch-tunesischen Wurzeln betreut die Jungs in der Wohngruppe in Bahlingen. Einige Jugendliche sind im hinteren Teil des Rathausgebäudes untergebracht. Etwas „Nestwärme“ wolle sie vermitteln. Dazu gehöre allerdings auch, dass sich alle an die Regeln von Ordnung und Sauberkeit halten. Putzplan und welche Gruppe kocht, sind vorgegeben. Befehle gebe sie keine, sagt Nadine Mhadbi. Aber die Jungs machen, was sie vorgibt.
Einen großen Teil des Tages nimmt das Büffeln der deutschen Sprache ein. Dafür fahren die Jugendlichen aus den verschiedenen Wohngruppen in die Unterkunft nach Mundingen, wo der Unterricht stattfindet. Die ganz andere Lebenswelt und die Trennung von den Familien machen den Jungs zu schaffen. Es sei immer wieder Thema, wann sie hier arbeiten und die Eltern wieder sehen können, berichtet Nadine Mhadbi. Es sei für die Jungs nicht leicht, damit umzugehen, dass alles viel Zeit brauche und es nicht so einfach laufe, wie sie sich das vorgestellt haben. Einige von ihnen werden bis zu vier Jahren in der Wohngruppe leben, bis sie volljährig sind und über ihre Zukunft als Asylbewerber entschieden wird.
Insopro in Stegen hat sich lange Zeit besonders in der Begleitung von Langzeitarbeitslosen engagiert. Ihr Geschäftsführer Markus Jackl arbeitete auch für die Jugendämter in Freiburg und Emmendingen. Diese Jugendämter sahen sich in der zweiten Jahreshälfte 2015 mit einer sprunghaft steigenden Zahl von „unbegleiteten minderjährigen Ausländern“ konfrontiert. Die Jugendlichen wurden zunächst beim Pflegeheim in Kirnhalden untergebracht, hinterm Berg und weit ab vom Schuss. Für die Jugendlichen dort bedeutete dies, dass sie nicht einmal ein Funknetz für ihre Handys hatten und damit nicht mit den zurückgebliebenen Eltern und Verwandten sprechen konnten.
Zahl der Betreuer ist gestiegen
Weil hier etwas auf die Beine gestellt werden musste, kam der Ruf nach Jackl, ob er hier initiativ werden könnte. Die Dynamik, die das für Jackl und Insopro nahm, zeigt sich an der Zahl der Mitarbeiter. Die ist stark gestiegen. So viele Betreuer anzuheuern, macht einmal das Angebot am Universitätsstandort Freiburg möglich, aber auch die Flexibilität der Behörden. Oft hätten seine neuen Mitarbeiter nicht die sozialpädagogischen und erzieherischen Qualifikationen, die man normalerweise für einen solchen Job in Deutschland vorweisen muss.
Aber die Regeln für die Betreuung und Erziehung deutscher Kinder und Jugendlichen, die man an den Schulen lehrt, würden den Betreuern beim Umgang mit den minderjährigen Flüchtlingen oft sowieso nicht viel weiterhelfen, sagte jüngst Joachim Welter, Chef von St. Anton in Riegel, jüngst bei einem Gespräch. Welters Haus kümmert sich um die Klärung wichtiger Fragen, leitet also die ersten Verfahrensschritte bei der Aufnahme der Jugendlichen, und unterhält auch eigene Wohngruppen.
In Bahlingen kann Nadine Mhadbi, die Migration studiert und Praktika in der Integrationsarbeit absolviert hat, mit ihrem Wissen und ihrer Intuition einen Weg suchen, wie sie den Alltag mit den jungen Afghani und Syrern um sie herum managt. Oder die Freiburger Künstlerin Gabriele Häber, Mutter und Großmutter wie auch früher Betreuerin von älteren Menschen, kann den Jungs mit Malen die Ankunft erleichtern.
Ein großer Schatz ist die Vereinswelt. Einige Jungs der Wohngruppen in Bahlingen machen im Fußballverein mit. Zwar sprechen nur wenige von den Jungs, die mit Dari, Farsi, Arabisch und Kurdisch aufgewachsen sind, Englisch. Somit braucht es im Gespräch am Tisch immer einen, der ein bisschen was versteht, und dies für die anderen übersetzt. Aber mit Lionel Messi und der Champions League findet man schnell ein gemeinsames Thema, an dem man sich in der Verständigung entlang hangeln kann.
Rudimentär, „mit Händen und Füßen“, und wenn es wirklich klemmt mit Dolmetscher, bewerkstelligen Betreuer und Jugendliche den Alltag. Handy und Internet tragen natürlich auch ihren Teil zur Verständigung bei.
Autor: Michael Haberer