Artikel in der Badischen Zeitung von Samstag, 19. März 2016
Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der Badischen Zeitung
Sie kümmern sich um jugendliche Flüchtlinge: Joachim Welter, Anita Frei und Markus Jackl (von links). Foto: Michael Haberer
Suche nach passenden Lebenswegen
Stationen vieler jugendlicher Flüchtlinge: Auf die „Clearing-Stelle“ in Riegel folgt die Wohngruppe oder eine Pflegefamilie.
KREIS EMMENDINGEN. Im Kreis sind derzeit 107 jugendliche Flüchtlinge untergebracht, die ohne Eltern in Deutschland angekommen sind. Sie werden in Wohngemeinschaften in Emmendingen, Teningen, Bahlingen, Waldkirch, Sasbach und Simonswald sowie in Gastfamilien betreut. Insbesondere die Betreuungseinrichtung St. Anton in Riegel (LBZ) und das Institut für soziale Projekte (Insopro) haben vom Jugendamt den Auftrag, die durchweg männlichen Jugendlichen unterzubringen und pädagogisch zu begleiten.
Wachsende Herausforderungen
Der Dezember habe für ihre Behörde und die Versorgung der Jugendlichen eine große Herausforderung bedeutet, erklärt Jugendamtsleiterin Monika Schneider im Gespräch mit der BZ. Damals ist die Zahl ihrer Schützlinge aus Kriegsländern wie Syriern und Afghanistan um 40 nach oben geschnellt, hat sich also etwa verdoppelt. Ein Grund war, dass der Gesetzgeber auch für diese Gruppe der Geflüchteten ein Verteilungssystem eingeführt hat. So stehen nun nicht mehr nur jene Jugendämter in der Pflicht, wo die Jugendlichen gestrandet sind: in erster Linie an der Grenze und in Städten mit großen Bahnhöfen. Nun werden sie nach einem bestimmten Schlüssel wie die erwachsenen Asylbewerber auf die Kreise, in diesem Fall auf die Jugendämter verteilt.
Erste Fragen, erste Schritte
Nachdem das Jugendamt die Jugendlichen, die zum größten Teil zwischen 15 und 19 Jahre alt sind, rechtlich in Obhut genommen hat, kommt das LBZ ins Spiel. In Riegel erfolgt ein „Clearing“, in dem herausgefunden werden soll, wer der Jugendliche ist und wie man am besten mit ihm umgeht. „Am Anfang kennen wir nur einen Namen und vielleicht ein Geburtsdatum“, sagt Schneider. Clearing heiße zum einen, dass der Jugendliche aus dem „Fluchtmodus“ herauskomme, erklärt LBZ-Chef Joachim Welter. Ganz wichtig sei, Deutsch zu lernen, was die Jugendlichen auch so schnell wie möglich wollten. Zum Job des LBZ gehöre, herauszubekommen, wie gesund der Jugendliche ist, ob er Verwandte oder Kontakte in Deutschland hat, erkennungsdienstliche Daten festzustellen, das Asylverfahren auf den Weg zu bringen und die Kompetenzen sowie Bedürfnisse des Geflüchteten kennen zu lernen.
Abklären und empfehlen
Da sie in einer für seine Sozialarbeiter und Pädagogen fremden Kultur aufgewachsen sind, teils traumatische Erlebnisse durchgemacht haben und zwischen drei Monaten und zwei Jahren unterwegs waren, stellten sie für sein Team eine große Herausforderung dar, sagt Welter. Zudem reiche ihr Bildungsstand vom Analphabeten bis zur angehenden Studienreife. Die Clearing-Stelle wird nun auf 14 Plätze vergrößert. Denn manche Jugendliche seien noch in der Warteschleife. Am Ende des bis zu acht Wochen dauernden Clearing-Abschnitts steht eine Empfehlung, wie der Lebensweg des Jungen aussehen könnte, bis er rechtlich auf eigenen Füßen stehen kann. Die meisten von ihnen kommen in Wohngruppen, wie sie LBZ und Insopro anbieten oder in Pflegefamilien.
Ängste, Wünsche und Träume
Den 25 bei Insopro untergebrachten Jungs biete sein Team, das fast alle für den Nahen und Mittleren Osten typischen Sprachen beherrsche, Sicherheit, Bildung, Information und Unterhaltung, berichtet Markus Jackl, Vorsitzender des Vereins. Betreuung rund um die Schule, Verkehrserziehung, Gänge zu den Behörden, Sport bei den Vereinen vor Ort gehöre zum Alltag, erläutert Jackl. Die jungen Flüchtlinge kämen mit großer Motivation an, es hier zu etwas zu bringen. Diese Motivation wolle man hochhalten. Allerdings müsse sein Team die Jungs in eine Welt einführen, von der sie oft völlig falsche Vorstellungen haben. Einer habe geglaubt, in Deutschland seien die Straßen mit Gold gepflastert, berichtet Jackl. Sie müssten Geduld lernen. Manche lebten in der Angst, dass ihre Familie im Kriegsgebiet stirbt. Der Kontakt mit der Familie über das Smartphone sei deshalb ganz wichtig. Viele seien von ihren Familien geschickt worden, um deren Nachzug zu bewerkstelligen oder Geld nach Hause schicken, sagt Welter. So sei es für die Jungs schwer zu akzeptieren, dass sie hier erst einmal eine Ausbildung absolvieren müssen, bevor sie richtig Geld verdienen, und dass der eventuelle Nachzug der Familie viel Zeit in Anspruch nehme.
Engpässe in den Schulen
Jene Jungs zwischen 15 und Mitte 17, die dafür bereit sind, kämen in Pflegefamilien, erklärt Anita Frei, die im Landratsamt für Adoption und Pflegeeltern zuständig ist. Im November habe man über die Medien und mit einem Infoabend um Pflegefamilien geworben. Die Hilfsbereitschaft sei groß gewesen. Zwischen 60 und 70 Familien hätten sich gemeldet. Eine ganze Reihe sei aber wieder abgesprungen, weil es nicht um Kinder, sondern um Jugendliche gehe. Jetzt seien 17 Jungs in 14 geprüften Pflegefamilien untergebracht. Die Resonanz sei positiv. Höflich und hilfsbereit seien die Jungs. Aber es sei schwer, Vertrauen aufzubauen, laute die Rückmeldung. Nicht einfach sei es, die Jungs in Schulen unterzubringen. Denn mit Integrationsplätzen an Schulen hapere es noch, sagt Frei.
Insopro
Das Stegener Institut für Soziale Projekte (Insopro) ist ein Verein und wurde im April 2008 für die Betreuung von Langzeitarbeitslosen gegründet. Für die Arbeitsagentur betreut Insopro rund 30 Menschen und setzt dabei insbesondere auf Landschaftspflege und Kunsthandwerk. Für die Landkreise Emmendingen und Breisgau-Hochschwarzwald betreut Insopro etwa 40 jugendliche Geflüchtete. Im April wird Insopro 35 Mitarbeiter, meist Sozialpädagogen, Erzieher und Lehrer, zählen. Daneben engagiert sich der Verein in humanitären Projekten in Rumänien, Surinam und den Philippinen.
Weitere Infos im Internet unter http://www.insopro.org
Autor: Michael Haberer