Gegen die Angst und für mehr Selbstvertrauen

Artikel in der Badischen Zeitung von Mittwoch, 05. April 2017

Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der Badischen Zeitung
Foto: Dieter Maurer

Gegen die Angst und für mehr Selbstvertrauen

Unbegleitete minderjährige Ausländer legen im Breitnauer Hallenbad das Freischwimmerabzeichen in Bronze ab.

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Afghanistan haben im Hallenbad Breitnau die Prüfung zum Jugendschwimmabzeichen in Bronze erfolgreich bestanden. Aus Gründen der Sicherheit haben die Jugendlichen beim Fototermin ihre Gesichter verdeckt. In der zweiten Reihe zu sehen sind (von links) Bürgermeister Josef Haberstroh, Margot und Bernd Seibel sowie Gabriele Gottschall.

BREITNAU. „Das ist gelebte Integration,“ freute sich Bürgermeister Josef Haberstroh bei der Übergabe der bronzenen Freischwimmerabzeichen an fünf junge Afghanen. Das Quintett hatte im Breitnauer Hallenbad die Prüfung abgelegt und nahm Pässe und Abzeichen voll Stolz entgegen. Professor Bernd Seibel aus Hinterzarten bedankte sich bei der Gemeinde und dem Förderkreis Hallenbad für das kostenlose Überlassen der Einrichtung.

Unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA) werden in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe betreut. Einer der Träger ist das in Stegen ansässige Institut für soziale Projekte (InSoPro). Dieses unterhält eine Wohngruppe in Unadingen, in der 14 junge Flüchtlinge untergebracht sind. Bei der Übergabe vor Ort war die Leiterin von InSoPro, Gabriele Gottschall. Auch sie dankte der Gemeinde und dem Förderverein sowie Prüferin Sylvia Booz-Ebert für das Entgegenkommen.

Neben Unterbringung, Sprachförderung, medizinischer Versorgung und Zugang zu Bildung sei es wichtig, so Bernd Seibel, „den Jugendlichen Möglichkeiten zu bieten, sich an Freizeitaktivitäten zu beteiligen“. Seit Anfang des Jahres unterrichten der 68-jährige ehemalige Hochschullehrer und seine Ehefrau Margot, Diplom-Sozialpädagogin und bis zu ihrer Pensionierung in der Erzieherausbildung tätig, diese Jugendlichen: „Die besondere Herausforderung besteht darin, dass einige von ihnen nie eine Schule besucht haben und in ihrer Mutter- oder Landessprache nicht oder nur schlecht lesen und schreiben können.“ Hinzu komme, dass die Flüchtlinge mit anderen Schriftzeichen aufgewachsen sind und die lateinischen Buchstaben erst lernen müssen. Es gelte daher, der Gruppe mit besonderen Methoden gerecht zu werden. Dazu zähle das Lernen mit allen Sinnen, so genanntes multisensorisches Lernen.

Dem diente auch das Projekt im Hallenbad Breitnau. Zum einen galt es, grundlegende Schwimmfertigkeiten zu erlernen. Zum anderen wurde dies mit intensiver Sprachförderung verbunden. Dabei wurden Schlüsselsituationen herausgegriffen, um neue Erfahrungen zu ermöglichen („Es gibt kalte und warme Duschen“), den Wortschatz zu erweitern („Duschschaum, Schwimmbrett“) und grammatikalische Strukturen zu begreifen („Der Ring sinkt auf den Boden“). Mit begleitenden Übungen zum Schreiben, Hören, Lesen und Sprechen in Verbindung mit dem Schwimmen konnten intensive Lernerfahrungen im Sinne einer lebensweltorientierten Sprachförderungen gemacht werden. „Was ich gehört habe, habe ich vergessen, was ich gesehen habe, an das erinnere ich mich noch, was ich getan habe, das kann ich“, machte Seibel deutlich. Selbst die Planung der An- und Rückreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln war Bestandteil des Projekts.

Bei dem Kurs waren Nichtschwimmer und Schwimmer mit geringen Fertigkeiten vertreten. Einige Teilnehmer hatten anfänglich große Ängste vor dem Wasser. Amadou (16) aus Guinea und Suldaan (18) aus Somalia brachen den Kurs sogar ab. Zu groß war ihre Furcht vor dem Wasser in Verbindung mit den traumatischen Erfahrungen bei der Mittelmeerüberquerung. Die 17-jährigen Afghanen Samad, Shah, Mohammad und Naser sowie die ein Jahr jüngeren Sulaiman und Baryali bestanden die von Sylvia Booz-Ebert, Sportlehrerin am Birklehof, abgenommene Prüfung. Die Jugendlichen mussten nach einem Ring in zwei Meter Tiefe tauchen, einen Startsprung vom Beckenrand absolvieren und 200 Meter in weniger als 15 Minuten zurücklegen.

Das Vertrauen der Teilnehmer in das Medium Wasser wuchs täglich. Die Übungen zur Wassergewöhnung, zum Tauchen und zur Koordination der Bewegungsabläufe führten zu einer Stärkung des Selbstwertgefühls. Das bestätigte, was der Sportwissenschaft längst bekannt ist: Spiel und Sport dienen stärken das Selbstbewusstsein und die Kooperationsfähigkeit. Seibel: „Es trägt zur Persönlichkeitsentwicklung und der besseren Bewältigung von Alltagsanforderungen bei.“

Vor dem Hintergrund, dass die meisten Jugendlichen durch fluchtbedingte extreme Belastungen und damit zum Teil einhergehenden Beeinträchtigungen der körperlichen Gesundheit gekennzeichnet sind, könne der Wert solcher Angebote nicht hoch genug eingeschätzt werden. Seibel lobte: „Breitnau brilliert nicht nur auf dem Gebiet des Spitzensports, sondern engagiert sich auch beispielhaft in der Integrationsarbeit.“

Autor: Dieter Maurer